Die JVA in Hall sah aus wie ein Altersheim, die Gebäude sahen im Gegensatz zu Stammheim neu aus. Zudem hatte das Gesamtbild eine angenehmere Wirkung als die dunklen Wände in Stammheim. Es gab 3 Gebäudekomplexe mit je 2 Stockwerken, also um einiges kleiner als in Stammheim.
Nacheinander wurden wir aus dem Transporter in einen Transport- bzw. Aufnahmeraum gebracht. Glücklicherweise erfuhr ich, dass es in Schwäbisch Hall keine Transportzelle wie in Stammheim gab, und man sofort auf die „normalen“ Zellen durfte.
Im Transportraum warteten dann ein dutzend Häftlinge darauf, dass ihre Namen aufgerufen wurden. Ich kam relativ früh dran, ein Beamter nahm mich mit.
„Setz Dich dahin, wir schießen kurz ein Foto von Dir.“
Ich setzte mich auf den Stuhl, zu dem ich hingewiesen wurde, und setzte ein Lächeln auf.
„Haha, Du brauchst nicht lächeln, mein Gott“, meinte der Beamte und schoss dennoch das Foto, weshalb ich auf dem Bild in meinen Akten immer ein Lächeln habe.
Doch das Lächeln war wahrscheinlich dem vergleichsweise beruhigenden Anblick der JVA in Hall zu danken. Der Beamte holte ein kleines Päckchen, in dem meine privaten, beschlagnahmten Sachen eingepackt waren. Er nahm jedes einzelne Stück und schrieb auf einem Zettel, was sich alles darin befand, um mir das bei der Entlassung auszuhändigen. Zum einen war mein deutscher Personalausweis dabei, meine Halskette, mein Geldbeutel usw.
Doch das allerwichtigste, mein Wettschein, den ich am Tag meiner Verhaftung abgegeben hatte, war auch dabei: Ich hatte 500 EUR gewonnen und der Wettschein befand sich in diesem Päckchen.
„Ähm, ist es möglich, dass ich den Wettschein bekomme? Ich möchte es meinen Eltern senden, weil sonst verfällt dieser glaub ich, denn ich hatte gewonnen.“
Der Beamte sah mich kurz an und verstand vermutlich erst mein zittriges Gelaber nicht, händigte mir aber den Wettschein aus.
Nachdem ich mein Zugangspaket, also erneut Knast-Klamotten, Bettwäsche, Seife, Zahnbürste usw. bekam, wurde ich von einem Beamten abgeholt und in das obere Stockwerk in eine Zelle gebracht.
Es handelte sich um eine 4-Mann-Zelle, es befand sich allerdings nur ein älterer Mann in der Zelle, als ich eintrat. Die Zelle hinterließ einen sehr positiven Eindruck, denn die Wände waren schön weiß, es befanden sich zwei große Fenster (die in Stammheim waren sehr klein) und ich blickte auf einen Innenhof, wo sich auch der Teich mit den Enten befand. Am meisten freute ich mich darüber, dass sich die Toilette in einer „Kabine“ befand. Man konnte zwar nicht abschließen, aber wenigstens war eine Tür vorhanden und man war abgeschirmt von den restlichen Zellenkollegen.
Ich bezog ein Bett und war froh über die dickeren Matratzen und Kissen, als es in Stammheim der Fall gewesen war. Mit dem älteren Mann konnte ich noch kein Gespräch beginnen, er hatte ein Radio und las irgendeine Zeitung. Ich wunderte mich kurz, weshalb es keinen Fernseher in der Zelle gab, doch ein Beamter überraschte mich, als ich bemerkte, dass er in der Zelle stand. Die Türen waren halbautomatisch, man hörte das Öffnen der Tür kaum. Dies stellte sich im Laufe der Haft sehr angenehm, aber auch sehr gefährlich dar, da man die Beamten nicht kommen hörte. Er brachte mich zum Arzt, auch zur Erstaufnahme.
„Hallo Herr Ates, bitte setzen Sie sich hin, wir machen eine kurze Erstaufnahme und nehmen ihnen etwas Blut ab.“
Ich setzte mich hin und die Befragung begann:
„Herr Ates, sind Sie Raucher?“
„Nein. Habe es auch noch nie probiert.“
„Und trinken Sie Alkohol?“
„Nein. Habe ich auch bisher nicht probiert.“
Er schien etwas verwundert: „Nehmen Sie Drogen, bzw. haben Sie Drogen jeglicher Art konsumiert?“
„Nein, nie.“
„Sagen Sie mal, Ihnen tut der Heiligenschein auf dem Kopf nicht zufällig weh?“. Er lachte, ich wusste erst nicht, was er meinte.
„Wir nehmen jetzt eine kleine Blutprobe von Ihnen.“
Er nahm eine Spritze und stach in meinen linken Arm, verfehlte offensichtlich die Ader: „Sagen Sie mal, Sie sollten mal Ihre Arme trainieren.“
Er machte ein großes Pflaster drauf und versuchte nun eine Ader am rechten Arm zu treffen, dies gelang ihm auch und er zapfte etwas Blut ab. Plötzlich wurde mir schwindlig. „Meine Güte, Sie sind ja komplett blass geworden.“
„Mir ist irgendwie voll schwindlig“. Schnell kam ein Krankenpfleger und sie legten mich auf eine Patientenliege. Nachdem ich etwas Wasser getrunken hatte, fühlte ich mich wieder etwas besser. „Sie müssen auf jeden Fall etwas Sport treiben, Herr Ates.“ Meiner Meinung nach lag meine Schwäche darin, dass ich mich seit einer Woche sehr schlecht ernährt hatte.
Am nächsten Tag war zudem mein linker Arm an der Stelle wo er zugestochen hatte komplett blau, und der rechte Arm war braun.
Als ich zurück in meiner Zelle war, befand sich eine weitere Person darin. Er hatte fast gar keine Zähne, war um die 35 Jahre alt und sah einfach aus wie ein Nazi, war aber keiner. Im Laufe der Wochen schnorrte er sich durch mich durch, doch das konnte ich noch nicht ahnen.
Wir stellten uns einander vor und ich erfuhr, dass der alte Mann wegen irgendeiner Zwangsvollstreckung oder sowas Ähnliches saß, und er nur irgendein Papier unterschreiben müsse, um entlassen zu werden. Er wollte dies aber nicht tun und schrieb stattdessen irgendwelche Briefe an die BILD-Zeitung. Der Zahnlose war wegen Autodiebstahl verhaftet worden und hatte schon ein saftiges Vorstrafenregister, hauptsächlich Einbruch und Diebstahl, war aber auch in der JVA Hall ziemlich bekannt.
Als das Abendessen kam, war ich erneut positiv überrascht, dass es sich hier um humanere Kost handelte als in Stammheim.
Die Beamtin fragte, ob wir duschen wollten. Natürlich bejahten wir dies und huschten unter die Dusche. Diese waren genauso sauber wie die Zellen, es floss auch sofort warmes Wasser und es war keine Menschenseele da. Denn ich wusste immer noch nicht, ob ich vor der Seife in der Dusche Angst haben sollte oder nicht.
Unsere Zellentür war während wir duschten offen, und wir durften noch eine halbe Stunde im Flur „rumgammeln“, weshalb ich mit den Reinigern, deren Türen dauerhaft geöffnet waren, in ein Gespräch verwickelt wurde.
Letztendlich lief es darauf hinaus, dass ich wissen wollte, wie ich den Wettschein einlösen konnte, ohne dass meine Eltern davon etwas mitbekamen, da sie so etwas nicht gerne sehen. Ein Reiniger bot mir an, den Wettschein für mich einzulösen, und mir dann 350 EUR schicken zu lassen. Ich war froh darüber, dass er so korrekt war und übergab ihm meinen Wettschein. Die Beamtin rief mich, ich solle zurück zur Zelle, da sie die Türe schließen müsse. Bevor ich ging, fragte ich den Reiniger, ob er mir einen Nagelknipser hätte, da meine Fingernägel ziemlich lang waren. Er übergab mir einen, der sogar noch eingepackt war: „Schenk ich Dir.“
Als ich mich in der Zelle befand, fühlte ich mich das erste Mal wieder gut, die JVA war angenehm, ich war frisch geduscht und das Essen war auch ganz ok. Nur ein Fernseher fehlte und meine 350 EUR. Doch ich hatte einen Nagelknipser. Das war auch das Einzige, was ich vom Reiniger bekam, bevor er nach einer Woche entlassen wurde.