Seit dem Besuch meines Anwalts waren einige Tage vergangen. Ich erfuhr Akzeptanz bei unseren Türken, sie mochten mich, ich war nicht wie die anderen, ich war total anders. Sie wunderten sich, dass ich noch nie mit Drogen in Kontakt geraten war, wie ich mich artikulierte und wie nett ich war. „Willst Du mir jetzt sagen, dass Du nie in deinem Leben Gras geraucht hast?“ Wir liefen im Hofgang unsere Runden: „Nein, habe ich wirklich nicht. Ich bin sowieso Nichtraucher, ich glaube, ich hätte Angst irgendwie das Bedürfnis nach Zigaretten zu haben, wenn ich mich an das Grasrauchen gewöhnen würde.“ Schockierte Gesichter sahen mich an, sie fanden das Ganze zudem so lustig, dass die anderen Häftlinge im Hof gerufen und sie mich wiederholen ließen, was ich gesagt hatte. „Digga, du musst doch irgendwelche Freunde haben, die Gras rauchen? Ich hab noch nie einen gesehen, der nicht zumindest einen kennt, der Gras raucht?!“ Ich überlegte kurz: „Nein, meine Freunde sind alle von der Moschee, die machen sowas nicht.“ Die Aussage war wohl noch lustiger als die davor.

Wir liefen noch ein paar Runden, gingen dann in die Zellen und warteten auf die Freizeit abends. Nachdem wir gemeinsam gekocht und gegessen hatten, durfte ich wieder mal das Geschirr spülen. Ich pendelte von einer Zelle zur nächsten und unterhielt mich mit den Häftlingen, schloss mich den Diskussionen an oder hörte einfach nur zu. Meist gab es immer einen, der irgendeinen Anwalts- oder Gerichtsbrief erhalten hatte und jede Zelle, jeden Häftling abklapperte und um Ratschlag fragte. Alle Häftlinge fühlten sich wie Anwälte, jeder wusste am besten Bescheid, und jeder hatte die besten Erfahrungen mit der Materie, doch so gut wie immer lagen sie – nein, wir – falsch.

Als ich bei Savas in der Zelle war, wurde wieder über meinen Fall geredet und gefragt, was mein Anwalt denn gesagt hätte. „Er will, dass ich ein Geständnis mache.“ Savas sah mich an: „Olum bist Du dumm? Wechsel den Anwalt. Man macht doch kein Geständnis, warte bis zum Gericht. Außerdem, hast Du Mittäter?“ Ich überlegte kurz, eigentlich hatte ich neben meinem Freund noch einen dritten Mittäter: „Nein, nur meinen Bruder. Und ich will ja nur aussagen, damit er rauskommt. Ich will alles auf mich nehmen.“ Es gab eine kleine Diskussion, schlussendlich waren sie dafür, dass ich als älterer Bruder zwar die Verantwortung für meinen jüngeren Bruder übernehmen und schauen sollte, dass er rauskommt. Aber andererseits hielten sie es für keine gute Idee, gleich im 1. Monat ein Geständnis zu machen. „Was haben die denn grad gegen dich in der Hand?“, fragte einer der Türken. „Also, die haben meinen Bruder und mich eigentlich nur beim Abheben erwischt. Das Bankkonto bzw. die Karte haben die nicht mal, die habe ich weggeschmissen, als ich weggerannt bin. Theoretisch könnte ich sagen, dass wir nur Läufer sind und für jemand anderes, den wir nicht kennen, abgehoben haben. Ansonsten haben die aber von mir daheim den Rechner und das Notebook von meinem Bruder. Aber beide sind mit TrueCrypt verschlüsselt. Ich weiß gar nicht, ob die das knacken können oder nicht. Aber damals in der Szene galt eigentlich, dass das unknackbar ist. Zumindest haben die, soweit ich weiß, nicht die Zeit und die Mittel, um das zu knacken.“ Sie lächelten nur: „Digga, als ob die Polizei das nicht knacken kann.“

Es vergingen einige Tage, ich lag in der Zelle.  Dann ging plötzlich die Tür zu einer Uhrzeit auf, in der es weder Hofgang, Freizeit noch Essen gab. Der „Abteilungsleiter“ kam rein: „Herr Ates, komme Sie mal mit.“ Ich hüpfte aus meinem Bett, wusch mein Gesicht und ging mit schnelleren Schritten in sein Büro.

„Ich bin der Bender und Abteilungsleiter von diesem Stockwerk, die Bundespolizei München ist gerade am Apparat, die würden gerne von Ihnen ein Passwort wissen.“ Ich war etwas schockiert, nahm den Hörer in die Hand und hielt es an mein Ohr: „Hallo?“

„Ist da der Herr Ates?“

„Ja, das bin ich“

„Ihr Anwalt hat angerufen und gesagt, dass Sie ein Geständnis machen wollen. Wir bereiten alles vor, doch bevor wir zu Ihnen in die JVA kommen, wäre es nicht schlecht, wenn wir an ihren Rechner könnten. Doch dieser ist mit einem Passwort geschützt, nennen Sie uns dieses bitte.“

„Achso, ja. Ich hab zwar mit meinem Anwalt geredet, aber er hat nichts wegen eines Passworts gesagt. Kann ich kurz meinen Anwalt anrufen und mal nachfragen?“

„Ja, rufen Sie ihren Anwalt an und sagen Sie dem Bender, er soll uns das Passwort per e-Mail zusenden.“

Ich hielt dann Rücksprache mit meinem Anwalt und dieser sagte mir, dass ich das Passwort nennen solle. Da das Passwort allerdings ziemlich lang war und zudem aus mehreren Sonderzeichen, Groß- und Kleinbuchstaben und Zahlen bestand, hatte ich es nicht mehr ganz klar in Erinnerung. Also nannte ich dem Bender 3 Passwörter, die fast identisch waren, aber von denen ich nicht sicher war, welches nun korrekt ist.

Er sendete die Passwörter per eMail ab.

Ich hatte ein schlechtes Gefühl, da ich nicht wusste, ob das jetzt wenigstens positiv für meine Verurteilung gewertet wird.

Als ich in die Zelle ging, sprach ich sofort mit meinem Zellenkollegen darüber und er versicherte mir, dass die Herausgabe des Passworts ein großer Fehler war. Auch abends in der Freizeit machten mich die Türken dumm an, weil ich das Passwort genannt hatte. Später konnte ich gar nicht mehr schlafen. Was hatte es denn gebracht, den PC mit TrueCrypt zu verschlüsseln, wenn ich das Passwort sowieso genannt hatte?

Die folgende Nacht war lang, ich zerbrach mir noch sehr lange den Kopf. Doch irgendwann musste ich eingeschlafen sein, denn ich wurde morgens dann wieder von Herr Bender geweckt: „Herr Ates, Sie müssen wieder mitkommen, anscheinend haben ihre Passwörter nicht funktioniert.“