Es gab im Laufe meiner Haftzeit einige Häftlinge, mit denen ich viel Zeit verbrachte – oder wiederum gar nichts zu tun hatte. Einige hatten einen größeren Einfluss auf mich, andere hatten in meinem Haftverlauf nur eine Statisten-Rolle. Auch wenn ich mich nicht mehr an Alle erinnern kann, gibt es da dann doch welche, die mir nicht mehr aus dem Kopf gehen: So zum Beispiel Mustafa.

Es war abends und wir hatten Freizeit, also war wieder Kochen angesagt. Als ich am Essen war und mich mit den Türken unterhielt, kam mein Zellenkollege, der Deutsche mit dem ich von Anfang an zusammen in der 4-Mann-Zelle und dann in der 2-Mann-Zelle war: „Hey Emre, ich zieh um zu dem Toni, ich habe schon mit dem Beamten geredet.“ Ich war natürlich glücklich, denn so langsam gab es keinen Gesprächsstoff mehr zwischen uns beiden, und ein wenig Privatsphäre würde mir sicherlich guttun.

Es verging keine halbe Stunde, als er schon seine Sachen zusammengepackt und sich in der anderen Zelle breit gemacht hatte.

„Hat der Dir schon die Schulden für den Tabak, den Du ihm gekauft hast, bezahlt?“ fragte mich Taylan, einer der jüngeren Türken, der eigentlich ganz korrekt war. Er hatte einen Zellenkollegen, einen Kurden, mit dem er sich sehr gut verstand. Wenn die Beiden zusammen durch die Gänge gingen hatten sie eine machtvolle Ausstrahlung, keiner wollte sich mit den beiden wirklich anlegen. Nicht, weil sie irgendwie gefährlich erschienen, sondern weil sie einfach schon seit mehr als einem Jahr in der U-Haft waren und somit zu den „alten Hasen“ gehörten. Zudem waren sie viel zu sympathisch und brachten Stimmung in die Bude, als dass man irgendein Problem mit den beiden haben könnte. Während ich mich mit Taylan mit der Zeit immer besser verstand, war meine Beziehung zu dem Kurden Behcet nicht so überragend.

„Nein, ich habe noch kein Geld von ihm bekommen”, antwortete ich und war verwundert, dass ich vergessen hatte, dass der Deutsche mir etwas schuldet.

„Du kannst auch kein Geld von dem bekommen, der muss Dir beim nächsten Einkauf was miteinkaufen für 50 EUR. Erinnere uns beim nächsten Einkaufszettel daran ihm zu sagen, dass er für uns einkaufen muss. Dann brauchst Du bei diesem Einkauf für unsere Kochgruppe nichts einkaufen.“ Taylan nahm das Geschirr und ging spülen, eines der wenigen Male während des ganzen Jahres, dass er spülte.

„Achja, und sag dem Beamten vorne mal, dass Du Nichtraucher bist, die sollen dir niemand anderes reinstecken der raucht, morgen kommen neue Zugänge, die stecken sonst bestimmt welche bei Dir rein.“

Ich ging sofort vor zum Beamtenbüro und fand zum Glück einen der besten Beamten während meiner Haftzeit vor: „Herr Nil, ich bin ja Nichtraucher, und können wir das so machen, dass Sie mir dann keinen Raucher in die Zelle stecken?“

„Natürlich, wir dürfen dir sowieso keinen Raucher in die Zelle stecken, wenn Du das als Nichtraucher nicht willst. Hast Du dich bereits für eine Einzelzelle angemeldet?“ Er schaute auf die Warteliste, „Ah ich sehe, du bist auf Platz 2. Könnte noch 1-2 Wochen dauern, aber dann solltest Du deine Einzelzelle bekommen.“

 

Glücklich ging ich in meine Zelle, hatte eine angenehme Nacht, endlich lief der Fernseher nicht bis nachts um 3:00 Uhr und ich konnte ruhig einschlafen. Aber das ging nicht lange, nach zwei Tagen stand ein Beamter vor meiner Tür: „Emre, wenn Du Raucher wärst, hätte ich Dir jetzt einen Landsmann von Dir in deine Zelle gesteckt, der fühlt sich gerade unwohl bei dem Rumänen wo er ist.“

Ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir am Tag zuvor einen Türken als Neuzugang bekommen hatten. „Ja, ich will aber keinen Raucher in der Zelle.“

Als ich abends im Gang während der Freizeit rumschlängelte stand plötzlich ein mindestens 2 Meter großer Mann vor mir. Er hatte diesen Dreieckskörper, den man eigentlich nur aus Skizzierungen von Dreiecken in Geometrie kennt. Seine Beine waren ziemlich schmal und seine Brust breiter, seine Schultern noch breiter. Sein Kopf war kahl und seine Nase stach förmlich heraus, sie sah so aus, als sei sie schon mal gebrochen gewesen.

„Hey, bist Du Türke?“ fragte er mich. Als ich das bejahte, kamen wir in ein Gespräch und liefen ein paar Mal den Gang rauf und runter, ich erzählte ihm, was ich angestellt hatte, und er wollte mir weismachen, dass er fünf Personen niedergeschlagen hatte und wegen schwerer körperlicher Verletzung nun in U-Haft geraten wäre. Auch wenn er so schien, als könnte ihm so leicht keiner etwas antun, war es doch etwas unglaubwürdig, gleich fünf Männer niedergeschlagen zu haben. Zudem erzählte er mir, dass er eine reiche Freundin hätte, zumindest der Vater wäre reich, die Tochter hätte eine eigene Boutique und so weiter. Er war Gerüstbauer und auch anscheinend ein Frauenschwarm. Er war schon Ende 30.

Als sich die Freizeit dem Ende nahte fragte er mich, ob er denn nicht mit mir in eine Zelle könne, er würde auch nicht viel rauchen.

Da ich auch schon draußen nie „Nein“ sagen konnte und ich mich quasi schon fast 2 Stunden mit ihm unterhalten hatte, war es diesmal nicht anders: „Ja klar, kein Problem, ich sag morgen dem Beamten Bescheid.“

Er freute sich, dass er vom Rumänen wegkam und zu einem Landsmann in die Zelle konnte, vor allem aber auch deswegen, weil ich einen Fernseher in der Zelle hatte, der Rumäne allerdings nicht.

Als ich mich zurück zu meiner Zelle begab und sich die Türen schlossen, händigte mir der Beamte noch einen Zettel aus: „Du hast das im Büro nicht abgeholt, man hatte dich gerufen.“

Ich nahm den Zettel in die Hand, schaltete mein Zellenlicht ein und setzte mich hin: Es war ein Besuchszettel und zwei Besuchstermine waren vermerkt. Besucher waren mein Anwalt und zwei Ermittler aus München.

Als ich mich schlafen legte wusste ich noch nicht, dass ich in der nächsten Zeit so einige Fehler begehen würde. Einen hatte ich heute schon begangen, ich hatte Mustafa zugesagt, mit ihm zusammen in eine Zelle zu ziehen. Doch das war noch das kleinere Übel.