„Verpfeifst Du andere Leute, oder wieso warst Du so lange bei den Bullen?“, diese Frage bekam ich fortan oft zu hören. „Ich kann doch niemanden verpfeifen, in der Szene ist es so, dass alle Nicknamen haben. Ich weiß selbst nicht, wer die Leute sind. Und mein Bruder soll sowieso raus, deswegen das Geständnis.“


Am nächsten Morgen, pünktlich um 9 Uhr, saß ich wieder in dem kleinen Besucherraum mit den Beamten Götner und Bauer. Mein Anwalt war, wie vereinbart, nicht da. „Ich lasse mir immer einen Kaffee von den Beamten kaufen, sonst sag ich nicht aus“, hatte mir mein Ex-Zellenkollege, der Kahlkopf, gesagt. „Ich würde denen sagen, dass die mir eine Cola kaufen sollen, wenn die dich schon so lange verhören.“ Und tatsächlich, die beiden Beamten hatten eine Cola-Flasche, die sie während des Geständnisses leer tranken. Ich dagegen hatte nur einen trockenen Mund, zumal es mir verboten war, etwas mit in den Besucherraum zu nehmen – meine Wasserflasche musste in der Zelle bleiben. Und ich traute mich nicht, die Bundespolizisten um eine Cola oder derartiges zu bitten.

Wieder in den gleichen Sitzpositionen wie gestern, also Herr Bauer am Laptop, Herr Götner mit seinem Stift und Notizblock vor sich – ich gegenüber, in Jogginghose und mit schwitzenden Händen, begannen wir die Fortsetzung meines Geständnisses.

Herr Bauer: „Interessant wäre zu wissen, woher Sie Ihre Bankkonten, also diese Bankdrops, gekauft haben?“

Ich: „Erst mal muss ich erwähnen, dass ich tausende Euro verloren habe bei dem Versuch, mir Bankdrops zu besorgen. Das passiert nämlich, wenn man als Betrüger von Betrügern etwas kaufen will: man wird betrogen. Wie bereits erwähnt, in dem Darknet-Forum gab es Inserat-Sektionen, dort wurden Bankkonten angeboten. Zwischen 750 EUR und 1.500 EUR hat ein Bankkonto gekostet.“

Herr Götner wollte es genauer wissen: „Ja, haben Sie Namen für uns? Der Name des Absenders, oder ein Nickname im Forum?“

Ich: „Also als Absender wurden, glaube ich, immer Fake-Namen und Adressen eingetragen, bin mir da nicht ganz sicher. Im Grunde genommen gibt es nur drei Personen, von denen ich Bankdrops gekauft habe. Meinen ersten Bankdrop habe ich von einem „luigi“ gekauft, danach habe ich zwei weitere von einem „Louch“ gekauft. Wer sich aber hinter den Nicknamen verbirgt, weiß ich nicht. Ich glaube nur, dass dieser „Louch“ aus Hamburg kommt, weil er als Absender zweimal Hamburger-Adressen angegeben hat. Außerdem habe ich bei „Louch“ die Bezahlung anders gemacht als sonst. Ich habe nämlich ca. 3.000 EUR gefillt, also Bahntickets verkauft und an sein Bankdrop überweisen lassen. Dann hat er die 3.000 EUR abgehoben und hat mir das Bankkonto danach übergeben bzw. an mich versendet. Und da habe ich halt im Kontoauszug gesehen, dass er in Hamburg abgehoben hat.“

Herr Bauer: „Wie viele und welche Bankkonten hatten Sie denn, und wie lauten die Kontonummern?“

Ich: „Also einmal bei der Postbank, mit der Sie mich erwischt haben. Dann bei einer Ziraat Bank, die Kontonummer weiss ich nicht mehr, aber der Kontoinhaber ist „Veysel Kara“. Die beiden Konten habe ich von „Louch“ gekauft. Dann gab es noch eins von der Deutschen Bank, das habe ich von „luigi“ gekauft, der Kontoinhaber war irgendetwas mit Marissimo oder so, kann mich nicht genau daran erinnern.“

Die beiden Beamten tauschten Blicke aus, woraufhin Herr Götner im leisen Ton zu seinem Kollegen meinte: „Ah, das mit der Deutschen Bank müsste das Verfahren in Köln sein.“

Herr Götner schaute mich erfreut an, wahrscheinlich, weil er gerade eine interessante Information von mir bekommen hatte: „Und wie haben Sie dann das Geld abgehoben von diesen Bankdrops?“

Ich: „Also, ich bin mit Helm, Schal und Sonnenbrille an den Bankautomaten, immer spät abends oder nachts, und habe es einfach abgehoben. Die Bankautomaten habe ich immer willkürlich gewählt.“

„Und ihr Bruder ist Schmiere gestanden?“, wollte Herr Bauer wissen.

Ich: „Nein, nein, er hat damit gar nichts zu tun, er wusste zwar Bescheid von allem, hat aber nie was gemacht.“

Herr Götner grinste sarkastisch: „Ach, deswegen war er mit Ihnen beim Geld abheben? Um nichts zu machen? Herr Ates, hören Sie. Ich verstehe ja, dass Sie ihren Bruder schützen wollen, aber das Gericht könnte ihr Geständnis nicht anerkennen, wenn rauskommt, dass ihr Bruder involviert war, und Sie ihn in Schutz genommen haben.“

„Mein Bruder hat nichts mit der Sache zu tun, deswegen sage ich doch auch aus, damit Sie ihn endlich gehen lassen.“ Ich wurde etwas rot im Gesicht, Lügen war nie meine Stärke gewesen.

Herr Götner sah mich erst ernst, dann lässig an: „Wie Sie wollen, ich will es nur gesagt haben.“

Herr Bauer hatte in der Zwischenzeit auch fertig getippt und kam schon mit der nächsten Frage: „Wie sind Sie eigentlich ins Netz gegangen, also VPN, Proxy usw.?“

Ich: „Ich bin das recht simpel angegangen. Ich habe mir nur einen UMTS Stick gekauft und eine Sim-Karte, bin dann in ein Internet-Cafe und habe die Sim-Karte auf falschen Daten registriert, dann die Simkarte mit Aufladecodes aufgeladen und Internet-Pakete gebucht. Bin dann immer nur per UMTS-Stick ins Netz. Das nennen die in der Szene „Ano-Sticks“.“

Herr Götner fiel mir wieder ins Wort: „Haben Sie extra O2 gewählt, weil sie wussten, dass O2 die IP-Adressen nur eine Woche speichert und es technisch nicht möglich ist, das zurückzuverfolgen?“

Ich war schockiert und erstaunt zu gleich: „Das wusste ich jetzt nicht. Ich habe einfach nur O2 geholt, weil LIDL bei uns um die Ecke war und die da hauptsächlich O2-Simkarten hatten.“

Herr Bauer: „Können Sie uns ein paar Namen aus der Szene nennen?“

Ich: „Mir fallen jetzt spontan keine ein, und wenn, dann sind das sowieso nur Nicknamen. Aber wenn Sie in meinen Rechner reingehen, gibt es da die Software Pidgin, dort sind meine Kontakte zur Szene, da können Sie ja dann nachschauen.“

Herr Götner war wieder dran: „Sind Sie sicher, dass Sie den „Louch“ nicht persönlich kennen?“

Ich war verwundert, dass er wohl gedanklich noch bei dem hängen geblieben war: „Äh, ja? Woher soll ich ihn denn kennen?“

Die beiden Kollegen sahen sich wieder an und überlegten wohl, ob sie mir die Fragen beantworten sollten: „Sagt ihnen der Name Yilmaz Fidan etwas?“

Ich überlegte kurz, es war zwar ein türkischer Name, aber mir fiel niemand mit diesem Namen ein: „Ist das der Louch oder wie?“

Herr Götner: „Das wird sich noch zeigen, und Sie kennen ihn dennoch nicht?“

Ich: „Nein, ich kenne ihn echt nicht. Nur weil er Türke ist, soll ich ihn jetzt kennen, oder wie?“

Herr Bauer: „Sie haben doch im Cinemaxx gearbeitet. Zufällig hat  Yilmaz Fidan auch im Cinemaxx gearbeitet.“

Ich: „Oh, ok. Also wenn er auch im selben Cinemaxx wie ich gearbeitet hat, verstehe ich ihre Bedenken. Aber wenn er in Hamburg oder so im Cinemaxx war, dann ist das einfach nur Zufall. Es arbeiten doch so viele Jugendliche im Cinemaxx.“

Beide sahen wohl ein, dass die Verbindun,g die sie zu aufbauen versuchten, etwas schwachsinnig war.

„Haben Sie irgendwelche anderen Sachen auf dem Rechner?“ wollte Herr Götner wissen.

„Also, ich habe schon ein paar Kinofilme drauf.“

„Nein, ich meine anderes Material, von dem wir wissen sollten. Zum Beispiel Kinderpornografie?“ Herr Götnersah mich erwartungsvoll an.

„Was? Sehe ich so aus, oder wie?“. Diese Frage entsetzte mich.

„Heutzutage weiß man nie“, sagte Herr Bauer bloß.

Herr Bauer: „Wir kommen langsam zum Abschluss, nur noch ein paar Fragen. Sagen Sie, hatten Sie noch andere Mittäter? Man kann das Ganze doch unmöglich ganz allein gemacht haben.“

Ich: „Nein, ich hatte keine Mittäter.“

Herr Götner: „Sie wollen mir weismachen, dass Sie das Ganze alleine auf die Reihe bekommen haben?!“

Ich: „Ja natürlich, was ist denn so schwer daran? Ich musste nur Bankkonten und Kreditkarten kaufen, dann ein  paar Fake-Mails und Inserate erstellen, das war’s!“

Herr Götner: „Herr Ates, ich sag es Ihnen nochmals, das Geständnis kann nur dann vom Gericht strafmildernd anerkannt werden, wenn Sie uns alles sagen, was Sie wissen.“

Ich: „Sie werden schon an meinem Rechner sehen, dass ich das Ganze selber hinbekommen habe.“

Beide Beamten schnauften, und dann kam die letzte Frage: „Kennst Du einen Bernd Speyer?“

„Nein“, antwortete ich knapp.

Sie hatten einen Drucker dabei, druckten das Geständnis, ich überflog meine Aussagen und unterschrieb es dann. Eine Ausfertigung bekam ich, meine Mithäftlinge waren schon scharf darauf, ob ich was Falsches gesagt hatte, bzw. ob ich irgendjemanden verraten hatte.

„Könnten Sie mir eigentlich eine Cola kaufen?“ fragte ich Herrn Götner, als er sich Richtung Türklingel begab, um die Justizbeamten zu rufen. „Ach, das tut uns leid, wir dürfen leider kein Geld mit hineinbringen, weshalb wir kein Geld haben, um Ihnen etwas zu kaufen. Sonst gerne.“ Ich hatte ihm diese Geschichte tatsächlich abgekauft und völlig vergessen, dass beide die ganze Zeit an einer Cola-Flasche geschlurft hatten. „Bitte geben Sie ihr Pfand wieder zurück, bevor sie gehen”, sagte der Justizbeamte den Bundespolizisten. Ich war etwas sauer, dass sie mich angelogen hatten, denn wie es schien, hatten sie die Cola-Flaschen von hier gekauft.

Aber ich hatte sie auch angelogen…ich hatte gesagt, dass ich keine weiteren Mittäter gehabt hatte.

Als mich der Beamte zum Warteraum führte, fiel mir plötzlich etwas ein: „Herr Schulz, kann ich bitte kurz wieder zu den Beamten, ich muss etwas fragen.“

„Die sind schon weg, Du warst lange genug da drin.“ Herr Schulz schloss die Tür des Warteraums ab.
Ich wollte eigentlich nur wissen, wer dieser Bernd sein sollte.