Rechtliche Würdigung

 

    1. Der Angeklagte Emre Ates hat sich deshalb des gemeinschaftlich begangenen Computerbetruges im besonders schweren Fall in 137 Fällen gemäß §§ 263 a Abs. 1 Var. 3, 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 25 Abs. 2, 53 StGB (Taten Ziffer III. 1. bis 137.) strafbar gemacht.

 

    1. Der Angeklagte Cem Ates ist des gemeinschaftlich begangenen Computerbetruges im besonders schweren Fall in 62 Fällen gemäße §§ 263 a Abs. 1 Var. 3, 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 25 Abs. 2, 53 StGB (Taten Ziffer III. 76. 137.)schuldig.

 

    1. Der Angeklagte Adnan Polat hat sich wegen gemeinschaftlich begangenen Computerbetruges im besonders schweren Fall in 75 Fällen gemäß §§ 263 a Abs. 1 Var. 3, 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 25 Abs. 2, 53 StGB (Taten Ziffer III. 1. bis 75.) schuldig gemacht.

 

Strafzumessung

 

    1. Der Angeklagte Emre Ates war bei Begehung der Taten Ziffer III. 1. bis 84. 22 Jahre, bei den Taten Ziffer III. 85. bis 137. 23 Jahre alt und damit bei sämtlichen Taten Erwachsener. Das allgemeine Strafrecht ist anzuwenden. Die Kammer entnimmt die Strafe für sämtliche Taten dem Strafrahmen des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, der über § 263 a Abs. 1, Abs. 2 StGB Anwendung findet. Dieser sieht Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zehn Jahren vor. Der Angeklagte Emre Ates handelte bei seinen Taten in dem Bestreben, sich durch die wiederholte Tatbegehung – über einen Zeitraum von mehr als acht Monaten hinweg – zur Aufbesserung seiner angespannten finanziellen Situation eine nicht nur vorübergehende, ganz erhebliche Einnahmequelle zu verschaffen und damit gewerbsmäßig. Er hatte bereits Schulden angehäuft, die der Vater beglichen hatte. Sein Studium hatte der Angeklagte abgebrochen. Er war in dieser Zeit ohne berufliche Perspektive. Die lukrative Geschäftsidee kam ihm in dieser Zeit gerade recht. Die Regelwirkung ausschließende, mildernde Umstände, die die Anwendung des erhöhten Strafrahmens unangemessen erscheinen lassen, konnte die Kammer nach einer Gesamtbewertung aller Umstände nicht erkennen.

      Der Angeklagte Emre Ates hat zwar in einem umfassenden, äußerst detaillierten Geständnis, das von Einsicht und Reue getragen war, seine Tatbeteiligung an den 137 Taten, wie unter Ziffer III. festgestellt, eingeräumt. Offen und aufrichtig gab er zu, wie er auf die Methode gestoßen war und die Voraussetzungen zur Durchführung der einzelnen Arbeitsschritte geschaffen hatte, und veranschaulichte, ohne seinen Tatbeitrag in einem besseren Licht erscheinen lassen zu wollen, wie er arbeitsteilig zunächst mit seinem Freund Adnan Polat, dann mit seinem Bruder Cem Ates die Methode in die Tat umsetze. Die Kammer übersieht dabei nicht, dass das Bestellsystem der Deutschen Bahn AG die Begehung der Taten leicht machte. Zu Gunsten des Angeklagten geht die Kammer auch davon aus, dass die Hemmschwelle im Laufe der Zeit spürbar herabsank.
      In der Hauptverhandlung verzichtete der Angeklagte auf die Herausgabe der Tatmittel, nämlich der Computer PC Tower Medion, Laptop IBM Thinkpad und Joy-PC nebst Zubehör.
      Die Folgen der Untersuchungshaft und der Verurteilung sind für das Leben des jungen Erwachsenen besonders erheblich. Seit etwa einem Jahr wird Untersuchungshaft gegen ihn vollstreckt. Er befindet sich erstmals in Haft und leidet unter der Trennung von seiner Familie. Hinzu trat die Ungewissheit über den Ausgang des Strafverfahrens. Dies und die Tatsache, dass er erstmals überhaupt und zu einer zu vollstreckenden, langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, macht ihn besonders strafempfindlich. Hinzu kommt die beträchtliche – auch die Familie des Angeklagten betreffende – Ungewissheit über die gegebenenfalls drohenden ausländerrechtlichen Konsequenzen (vgl. §§ 53 ff. AufenthG), nämlich die Ausweisung des heute 23 – Jährigen, der in Stuttgart geboren wurde, dort im Kreise seiner Familie aufgewachsen und verwurzelt ist, aus der Bundesrepublik Deutschland. Auch auf seine berufliche Zukunft kann sich diese Verurteilung erheblich auswirken.

      Demgegenüber war zu sehen, dass der Angeklagte Emre Ates über acht Monate hinweg 137 und damit eine Vielzahl erheblicher Computerbetrugstaten, denen eine weitaus höhere Zahl an Ticketbestellungen zugrunde lag, begangen hat. Durch nichts hat er sich davon abhalten lassen. Strafrechtlich war der Angeklagte bereits zwei Mal einschlägig in Erscheinung getreten. Zuletzt war er am 08. Mai 2012 wegen Betruges zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Diese Verurteilung hat er sich nicht zur Warnung dienen lassen. Stattdessen beging er bald darauf – ab 27. Juli 2012 – die diesem Urteil zugrundeliegenden Taten. Auch die durch Einsatzkräfte der Bundespolizei Kassel im Rahmen eines anderen Ermittlungsverfahrens, aber wegen gleichgelagerter Vorwürfe durchgeführte Durchsuchung der elterlichen Wohnung schreckte ihn nicht ab.
      Stattdessen erhielt der Angeklagte an diesem Tag die ersehnten Unterlagen für das Konto bei der Ziraat Bank und setzte unverdrossen wenige Tage später gemeinsam mit dem Angeklagten AdnanPolat die Tatserie fort. Der Angeklagte hat damit ein erhebliches Maß an krimineller Energie an den Tag gelegt. Nur durch die Festnahme war er zu stoppen. Durch die Taten verursachte er den erheblichen Schaden von 122.008 Euro.

      Diese gewichtigen Umstände – insbesondere die kriminelle Energie, die der Angeklagte an den Tag legte, um sein Ziel zu erreichen, aber auch die Tatsache, dass er über acht Monate hinweg unbeirrt eine Vielzahl von Vermögensstraftaten beging, lassen – trotz des Umstandes, dass der angeklagte die Taten vollumfänglich und schonungslos einräumte – im Rahmen der Gesamtbewertung aller Umstände die Anwendung des Regelbeispiels des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB nicht unangemessen erscheinen.

      Eine Milderung der einzelnen Strafen gemäß § 46 b StGB – in der Fassung vom 01. September 2009 – in Verbindung mit § 49 Abs. 1 StGB kam nicht in Betracht. Die Taten des Angeklagten gemäß §§ 263 a Abs. 1 Var. 3, 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB sind zwar Straftagen im Sinne des $ 46 b Abs. 1 Satz 1, Satz 2 StGB mit einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe. Allerdings hat der Angeklagte Emre Ates nicht durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen, dass eine Tat nach § 100 a Abs. 2 StPO aufgedeckt werden konnte. War der Täter an der Tat beteiligt, muss sich sein Beitrag zur Aufklärung nach § 46 b Abs. 1 Satz 1 StGB über den eigenen Tatbeitrag hinaus erstrecken, § 46 b Abs. 1 Satz 1 StGB. Ein volles Geständnis zur Aufdeckung der eigenen Tatbeteiligung genügt nicht. Der Angeklagte hat zwar – wie von den Vernehmungsbeamten PHM Götner und POK Bauer in der Hauptverhandlung dargelegt – bei seiner polizeilichen Vernehmung am 03. und 04. Juni 2013 ausführliche Angaben zu der Methode und seiner Tatbeteiligung gemacht und insbesondere wichtige, die Ermittlungen wesentlich erleichternde Passwörter, vor allem den vielstelligen Computerzugangscode, preisgegeben. Er habe aber weder Angaben zu dem Angeklagten Adnan Polat gemacht, noch habe er einen Beitrag zur Aufklärung der Tatbeteiligung seines Bruders Cem Vielmehr habe der Angeklagte Emre Ateseine Tatbeteiligung seines jüngeren Bruders im Wesentlichen abgestritten.

      Bei der konkreten Straffindung berücksichtig die Kammer zugunsten des Angeklagten sämtliche bereits bei der Wahl des Strafrahmens genannten Strafzumessungsgesichtspunkte, insbesondere die Tatsache, dass der Angeklagte die taten vollumfänglich und schonungslos eingeräumt und die Verantwortung übernommen hat. Bereits im Ermittlungsverfahren gestand er seine Tatbeteiligung offen und aufrichtig ein. Hinzu kommt, dass er die Ermittlungen durch die Preisgabe seiner Passwörter wesentlich erleichtert hat, wenn auch eine Milderung nach §§ 46 b Abs. 1, 49 StGB nicht in Betracht kam.
      Demgegenüber standen die – ebenfalls bereits bei der Wahl des Strafrahmens genannten – Strafzumessungsgesichtspunkte, die gegen den Angeklagten sprachen, insbesondere der hohe, infolge der Vielzahl der Taten eingetretene Gesamtschaden.
      Sie hat bei der Bemessung der konkreten Einzelstrafen außerdem die Anzahl der den Taten jeweils zugrundeliegenden Bestellungen und damit auch die Höhe des insoweit eingetretenen Schadens berücksichtigt.

      Nach umfassender Würdigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte und unter Berücksichtigung des Unrechts- und Schuldgehalts der Taten hat die Kammer folgende Einzelstrafen erkannt:

      Für die Taten Ziffer III.
      17., 68., 80., 91., 114. und 199.:
      jeweils dreizehn Monate Freiheitsstrafe,

      für die Taten Ziffer III.
      20., 26., 42., 44., 70., 82., 84., 85., 98., 101., 109., 126., und 135.:
      jeweils elf Monate Freiheitsstrafe.

      für die Taten Ziffer III.
      5., 8., 9., 15., 16., 21., 30., 34., 35., 36., 43., 45., 46., 47., 48., 58., 63., 64., 65., 67., 69., 71., 72., 73., 74., 78., 79., 81., 87., 88., 89., 96., 97., 100., 102., 103., 110., 111., 120., 122., 125., 130., 134., 136. und 137.:
      jeweils neun Monate Freiheitsstrafe.

      und für die Taten Ziffer III.
      1., 2., 3., 4., 6., 7., 10., 11., 12., 13., 14., 18., 19., 22., 23., 24., 25., 27., 28., 29., 31., 32., 33., 37., 38., 39., 40., 41., 49., 50., 51., 52., 53., 54., 55., 56., 57., 59., 60., 60., 61., 62., 66., 75., 76., 77., 83., 86., 90., 92., 93., 94., 95., 99., 105., 106., 107., 108., 112., 113., 115., 116., 117., 118., 121., 123., 124., 127., 128., 129., 131., 132. und 133:
      jeweils sieben Monate Freiheitsstrafe

      Bei der gemäß §§ 52, 54 StGB ausgehend von der Einsatzstrafe von 13 Monaten im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB zu bildenden Gesamtstrafe hat die Kammer die für und gegen den Angeklagten Emre Ates sprechenden Strafgesichtspunkte erneut umfassend gewürdigt. Sie hat dabei berücksichtigt, dass die Hemmschwelle des Angeklagten im Laufe der Zeit spürbar herabgesetzt war. Wegen des engen persönlichen und situativen Zusammenhangs dieser Taten erscheint insgesamt ein äußerst straffer Zusammenzug gerechtfertigt.

      Bei der Gesamtabwägung hält die Kammer deshalb die

      Gesamtstrafe von drei Jahren neun Monaten Freiheitsstrafe

      für tat- und schuldangemessen.“

      Auch, wenn dieses Strafmaß zu erwarten gewesen war, konnte ich es in diesem Moment nicht fassen. Mein Herz machte unweigerlich einen Aussetzer. Ein Schaudern durchzog meinen kompletten Körper. Ich hörte ein sehr lautes Schluchzen – es kam von meiner Mutter. Mein Nacken fühlte sich derart steif an, dass ich mich nicht zu ihr drehen konnte. Ich hatte sie erneut enttäuscht. So sehr. Es waren Zahlen – lediglich Zahlen – doch aus dem Munde der Richterin bedeuteten sie die Welt für mich. Mir fiel es schwer zu realisieren, welche Auswirkungen diese Zahlen auf mich haben würden. Ich visualisierte mir die drei und die neun vor dem geistigen Auge, als die Richterin weiterlas:

 

    1. „Der Angeklagte Cem Ates war bei Begehung der Taten Ziffer III. 76. bis 90. 17 Jahre alt und damit Jugendlicher im Sinne des Jugendgerichtsgesetzes. Jugendstrafrecht ist insoweit anzuwenden (§ 1 JGG). Er besaß zur Zeit dieser Taten die gemäß § 3 JGG erforderliche Strafreife. Am 14. Februar 2013 wurde er 18 Jahre alt. er war damit zum Zeitpunkt der Taten Ziffer III. 91. bis 137. Heranwachsender im Sinne dieses Gesetzes. Die Kammer bringt insgesamt Jugendstrafrecht zur Anwendung, denn er stand bei Begehung dieser Taten in seiner Persönlichkeit und Entwicklung noch einem Jugendlichen gleich. Die Entwicklung des Angeklagten weist Brüche auf. Er erreichte zwar altersentsprechend, allerdings mit mäßigem Erfolg den Hauptschulabschluss. da er sich während des daran anschließenden Berufseinstiegsjahres unterfordert gefühlt und bereits einen Schulplatz an einer Werkrealschule innehatte, brach er diese noch vor den Sommerferien im Jahr 2012 ab, um eine Urlaubsreise zu Verwandten in die Türkei anzutreten. Er kehrte erst nach Beginn des neuen Schuljahres von seiner Urlaubsreise zurück und blieb fortan immer wieder dem Unterricht unentschuldigt fern. Seine schulischen Leistungen litten darunter. Er verbrachte stattdessen seine Freizeit mit Freunden, lebte in den Tag hinein und konsumierte Alkohol. Nachdem sein älterer Bruder nach Esslingen gezogen war, verbrachte er auch dort häufig seine Freizeit. Dem erzieherischen Einfluss seiner Eltern war er weitgehend entglitten. In dieser Zeit litt der junge Angeklagte hin und wieder unter Stimmungsschwankungen. Die Bearbeitung seiner Probleme lehnte er aber ab. Die Einschätzung mangelnder Reife wird vom Vertreter der Jugendgerichtshilfe bestätigt.

      Bei dem Angeklagten Cem Ates kommt gemäß §§ 17 Abs. 2 2 JGG nur die Verhängung von Jugendstrafe in Betracht.
      Es liegen die Voraussetzungen der Schwere der Schuld gemäß § 17 Abs. 2 Alternative 2 JGG vor. Die fünf Monate dauernde Tatserie des Angeklagten wiegt schwer. In dieser Zeit war er an der Begehung von 62 Taten, denen eine Vielzahl von betrügerischen Bestellungen von Online-Tickets zugrunde liegen, beteiligt. Der durch diese Taten eingetretene Schaden ist erheblich, die kriminelle Energie enorm.
      In den Taten des Angeklagten sind außerdem schädliche Neigungen solchen Gewichts zu Tage getreten, dass die Verhängung einer Jugendstrafe auch aus diesem Grund zur erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten erforderlich ist. Unter schädlichen Neigungen sind erhebliche, seien es anlagebedingte, seien es durch unzulängliche Erziehung bedingte Mängel zu verstehen, die ohne längere Gesamterziehung die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten in sich bergen, die nicht nur gemeinlästig sind oder dem Charakter von Bagatelldelikten haben. Sie können sich bereits in der ersten Tat zeigen. Es bedarf dann aber regelmäßig der Feststellung von Persönlichkeitsmängeln, die, wenn auch verborgen, schon vor der Tat entwickelt waren, auf diese Einfluss gehabt haben und weitere Straftaten befürchten lassen (BGHR JGG § 17 Abs. 2 schädliche Neigungen 3). Strafrechtlich ist der jung Angeklagte bisher nicht vorgeahndet. Er ist aber in einem Zeitraum von fünf Monaten mit der Beteiligung an der erheblichen Zahl von 62 Vermögensstraftaten, denen eine weitaus höhere Zahl an Bestellungen zugrunde liegen, aufgefallen. Er gab außerdem zu, dass es sich dabei nur um einen Teil der ihm anzulastenden Tatserie handelt. Der Angeklagte war dem erzieherischen Einfluss seiner Eltern in dieser Zeit bereits weitgehend entglitten. Er hatte erhebliche Fehlzeiten in der Schule angehäuft, verbrachte seine Freizeit mit seinem Bruder oder Freunden. Mit letzteren konsumierte er Alkohol und lebte in den Tag hinein. Zwar wurden die Taten des Angeklagten durch die allmählich sinkende Hemmschwelle begünstigt. Dies und die Tatsache, dass der heute 19-Jährige die Taten in weiten Teilen eingestanden hat, geben der Tatserie aber keinen solchen Ausnahmecharakter, dass die Ahnung mit milderen Mitteln ausreichend erscheint. Vielmehr belegen die gegen den Angeklagten sprechenden Umstände, dass bei ihm auch nach etwa einem Jahr vollzogener Untersuchungshaft nach wie vor Persönlichkeitsmangel vorliegen, die eine nachhaltige erzieherische Einwirkung durch Jugendstrafe auf ihn erfordern. Bis heute legt der Angeklagte, wenngleich er seine Beteiligung weitgehend eingestanden hat, eine eher bagatellisierende Einstellung gegenüber den eigenen Taten an den Tag. Durch eine Jugendstrafe muss nachhaltig erzieherisch auf ihn eingewirkt und ihm deutlich vor Augen geführt werden, dass er für seine Taten einzustehen hat.

      Bei der konkreten Bemessung der zu erzieherischen Einwirkung erforderlichen Jugendstrafe berücksichtigt die Kammer zu Gunsten des Angeklagten Cem Ates, dass er seine Beteiligung an den 62 Taten in weiten Teilen eingeräumt hat. Der Angeklagte beginnt damit, sich mit dem Unrecht seines Tuns auseinanderzusetzen, und zeigt Ansätze von Reue. Die Kammer übersieht nicht, dass das Bestellsystem der Deutschen Bahn AG den Angeklagten die Begehung der taten leicht machte. Zu Gunsten des Angeklagten geht die Kammer auch davon aus, dass sich die Hemmschwelle zur Begehung der Taten im Laufe der Zeit spürbar herabgesetzt hat.
      Auch bei diesem Angeklagten lagen die Voraussetzungen der Aufklärungshilfe im Sinne des § 46 b StGB – in der Fassung vom 01. September 2009 – nicht vor, im Falle der Anwendbarkeit allgemeinen Strafrechts wäre eine Milderung daher nicht in Betracht gekommen. Während des Ermittlungsverfahrens hat der Angeklagte – wie der Vernehmungsbeamte PHM Götner in der Hauptverhandlung berichtete – am 25. Juni 2013 die ihm in diesem Verfahren gemachten Tatvorwürfe im Wesentlichen abgestritten. Auch hat er weder zum Angeklagten Emre Ates noch zum Angeklagten Adnan Polat in seiner Vernehmung sachdienliche Angaben gemacht. Er hat aber den Computerzugangscode preisgegeben. Wenn auch eine Milderung nach §§ 46 b Abs. 1, 49 Abs. 1 StGB somit nicht in Betracht käme, übersieht die Kammer doch nicht diesen, die Ermittlungen erleichternden Aspekt. In der Hauptverhandlung verzichtete der Angeklagte auch auf das Tatmittel, den Laptop Sony Vaio.
      Strafrechtlich ist der Angeklagte bisher nicht vorgeahndet, wenngleich er selbst einräumte, an vergleichbaren Taten zeitlich vor dem hier relevanten Tatzeitraum beteiligt gewesen zu sein. Mildernd hat die Kammer auch berücksichtigt, dass gegen den jungen Angeklagten bereits seit etwa einem Jahr und damit sehr lange Untersuchungshaft vollstreckt wird. Erstmals befand er sich in Untersuchungshaft. Die Trennung von seiner Familie belastete ihn sehr. Außerdem kam die – auch die Familie des Angeklagten bedrückende – Ungewissheit über den Verfahrensausgang und möglicherweise drohende ausländerrechtliche Konsequenzen hinzu.

      Gegen den Angeklagten spricht, dass er innerhalb eines kurzen Zeitraumes an 62 und damit einer Vielzahl von Computerbetrugstaten beteiligt war, der eine noch größere Zahl an Bestellungen gegenüber der Deutschen Bahn AG zugrundeliegt. Der während der etwa fünf Monate dauernden Tatbeteiligung des Angeklagten durch die Taten Ziffer III. 76. bis 137. eingetretene Schaden ist beträchtlich: Er beträgt 67.970,10 Euro. Die kriminelle Energie, die der Angeklagte an den Tag gelegt hat, ist groß. Nur durch die Festnahme des Angeklagten und seines Bruders konnte die Tatserie beendet werden. Im Übrigen wäre auch bei diesem Angeklagten im Falle der Anwendbarkeit allgemeinen Strafrechts nach Abwägung der genannten Umstände der schwerere Strafrahmen des §§ 263 a Abs. 2, 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, StGB anzuwenden, da auch er in dem Bestreben handelte, sich eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zur Finanzierung seines Lebensunterhaltes zu verschaffen. In Erwartung einer lukrativen Einnahmequelle brachte er sogar seinen älteren Bruder dazu, die Zusammenarbeit mit dessen Freund unter einem Vorwand zu beenden.

      Bei der konkreten Bemessung der zu verhängenden Einheitsjugendstrafe wägt die Kammer die für und gegen den Angeklagten Cem Ates sprechenden Strafzumessungserwägungen ab. Sie berücksichtigt insbesondere, dass gegen den jungen Angeklagten bereits für die Dauer von etwa einem Jahr Untersuchungshaft vollstreckt wurde. Dabei belastete ihn die Trennung von seiner Familie sehr. Die Kammer sieht vor allem die Wirkung, die eine nicht mehr zur Bewährung aussetzungsfähige und daher zu vollstreckende Jugendstrafe auf den heute erst 19- jährigen Angeklagten, der den Besuch der weiterführenden Schule ab Herbst 2014 und die Mittlere Reife anstrebt, entfalten würde. Bei der Abwägung aller Tatumstände und der Persönlichkeit des Angeklagten hält die Kammer deshalb zur erzieherischen Einwirkung die

      Einheitsjugendstrafe von 2 Jahren

      für erzieherisch angemessen und gerade noch ausreichend.“

      Der laute Aufschrei meiner Mutter traf meine Ohren wie ein scharfer Pfeil. Das konnte nicht sein, das durfte nicht sein – mein Bruder sollte noch ein weiteres Jahr aushalten? Hass und blinde Wut machten sich in mir breit. Ich fühlte mich schwach und machtlos. Ich fing an, die Kooperation, sowohl mit der Bundespolizei, als auch mit der Richterin, aufrichtig zu bereuen. Der Hass galt jedoch nicht nur dem Gericht und der Bundespolizei, nein, vielmehr galt sie mir selber. Ich hatte meinen Bruder in diese Scheiße geritten und tatsächlich gedacht, ich könnte ihn da wieder rausholen. Ich hasste meine Persönlichkeit, meinen Charakter und überhaupt die Person, die ich die ganze Zeit gewesen war – so war ich doch nicht erzogen worden…Und bei diesem Gedanken schoss plötzlich das Bild meines Vaters in meinen Kopf. Er wurde die ganze Zeit während des Urteils als unser Retter und der gute, vernünftige Vater dargestellt. Kurze Zeit hatte ich das selbst geglaubt, mitunter, als ich der Richterin erzählte, was mein Vater für ein Pech hatte, solch einen undankbaren Sohn wie mich zu haben. Nur finanzielle Probleme hatte ich ihm bereitet – dem armen, schlecht verdienenden Vater. Doch ich hatte ihr nicht von der anderen Seite erzählt. Beim Besuch sagte mir anfangs meine Mutter, dass sie meinem Vater die Schuld gab, dass wir Söhne uns so entwickelt hätten. Damals hatte ich sie überhaupt nicht verstanden, war doch die Entscheidung zum Betrug allein die meine gewesen. Dennoch stellte ich mir die Fragen: was war falsch mit mir? Was war falsch mit meinem Bruder? Wieso hatten wir diese kriminelle Energie? Wieso wollten wir so eine gewaltige Menge an Geld? Wieso wollten wir weg von daheim – uns den, wie das Gericht so schön formuliert hatte, „erzieherischen Maßnahmen unserer Eltern” entziehen? Und plötzlich kam die Erleuchtung, ein Gedankenblitz: “Emre, Du bist echt ein stabiler Junge, Du bist schon so lange hier und ich habe Dich kein einziges Mal meckern gehört”, hatte einst Tayfun während des Hofgangs zu mir gesagt. Damals dachte ich echt, ich sei stabil. Doch das war ich nicht. Nie gewesen. Ich war es lediglich gewohnt, nicht frei zu sein. Ich war nie frei gewesen, ich war ein Gefangener meiner Kultur, ein Gefangener der türkischen Gesellschaft, ein Gefangener der Moschee, ein Gefangener meines Vaters – ich war immer jemand gewesen, der ich nicht sein wollte, auf der Suche nach meinem wahren Ich, auf der Suche nach Freiheit. Doch ich hatte auch Angst vor der Einsamkeit, Angst, die Freiheit alleine zu verbringen, in einer Gesellschaft, die ich bislang nur als „Außenstehender“ erlebt hatte – in einer Welt, in der ich womöglich nicht akzeptiert werde. Ich war egoistisch gewesen, denn ich hatte meinen Bruder mit auf die Suche nach der Freiheit genommen. Ich hatte nämlich auch Angst vor der Einsamkeit, die mir von der anderen Seite her blühte – abgestoßen von der türkischen Gesellschaft, von der deutschen Gesellschaft nicht akzeptiert, wo gehörte ich denn dann noch hin? Der Klang des Schluchzens meiner Mutter hallte noch in meinem Kopf nach, und ein erneutes Schluchzen verstärkte den Nachhall in meinem Kopf immer mehr. Meine Mutter, sie war so enttäuscht – dabei waren ihre Kinder immer alles für sie gewesen.

      Mit jungen fünfzehn Jahren war sie einem Heranwachsenden quasi „übergeben“ worden, und weit weg von ihrer Familie wurde sie in ein fremdes Land mitgenommen. Gefangen bei den Schwiegereltern, ungebildet und finanziell abhängig von ihrem Ehemann. Sie konnte keine eigenen Entscheidungen treffen – sie durfte einfach nicht. Sie musste für jede Kleinigkeit um Erlaubnis fragen – und wehe, es hatte keinen triftigen Grund. Sie wollte sich integrieren, die deutsche Sprache lernen, was ihr nur zu einem gewissen Grad gestattet wurde. Die Zeit in der Sprachschule hätte sie nämlich von der Zeit, in der sie ihrem Ehemann eine gute Hausfrau hätte sein müssen, abknöpfen müssen. Sie durfte aber eines ganz gewiss: ihre Freizeit in der Moschee verbringen, um dort – abgesehen von ihrem Mann – Allah zu dienen. Ich bin mir sicher, dass sie sich ihren Kindern eine tollere Kindheit, aber auch eine bessere Zukunft gewünscht hat als ihre.

      Und nun bestand unsere nahe Zukunft aus vier Wänden, einem Bett und 8 Quadratmetern.

      “Die Kammer setzt die Vollstreckung der Einheitsjugendstrafe gemäß § 21 JGG zur Bewährung aus. Sie geht davon aus, dass deren Vollstreckung im Hinblick auf die Entwicklung des Angeklagten Cem Ates nicht geboten ist. Die Kammer ist überzeugt, dass dieser sich bereits die lang dauernde Hauptverhandlung und die anschließende Verurteilung zur Warnung dienen lässt und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs, aber der erzieherischen Einwirkung in der Bewährungszeit künftig einen rechtsschaffenen Lebenswandel führen wird. Der junge Angeklagte wird erstmals zu einer Jugendstrafe verurteilt. Die guten familiären Umstände und die Ziele, die sich der Angeklagte vorgenommen hat, zu erreichen, lassen eine günstige Prognose zu. Bis heute verbindet ihn mit seiner Familie ein enges Verhältnis. Dies – und die Unterstützung sowohl durch einen Betreuer im Rahmen der Betreuungsweisung für die Dauer von sechs Monaten als auch durch einen hauptamtlichen Bewährungshelfer – wird ihn während der Bewährungszeit stützten und fördern. Die Kammer ist deshalb überzeugt, dass er sich – auch gestützt durch die Weisungen und Auflagen – künftig straffrei halten wird. Nur so kann es ihm gelingen, sich eine Perspektive für seine Zukunft zu erarbeiten.

 

    1. Der Angeklagte Adnan Polat war bei den abgeurteilten Taten Ziffer III. 1. bis 75. 20 Jahre alt und damit heranwachsender im Sinne des Jugendgerichtsgesetzes. Die Kammer wendet auf ihn das allgemeine Strafrecht an. Weder ergibt die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen, dass er zur Zeit der taten nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG), noch handelt es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Taten um eine Jugendverfehlung (§ 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG). Beim Angeklagten Adnan Polat sind Entwicklungs- und Reifeverzögerungen im Zeitpunkt der Taten nicht ersichtlich. Der Angeklagte wuchs in geordneten Verhältnissen im Kreise seiner Familie in Stuttgart auf. Zunächst absolvierte er problemlos die Hauptschule. Nahtlos wechselte er an die zweijährige Berufsfachschule, die er im Jahr 2009 mit der mittleren Reife abschloss. Unmittelbar daran anschließend erfolgte die Ausbildung zum IT-Systemkaufmann, die ihm zwar wenig Freude bereitete, die er aber verantwortungsbewusst absolvierte, bis er den Abschluss erreicht hatte. Seine schulische und berufliche Laufbahn ist damit geradlinig. Bald nach Abschluss der Ausbildung am 12. Juli 2012 entschloss er sich, gemeinsam mit dem Angeklagten Emre Ates im Bereich der Computerbetrugstaten aktiv zu werden, da er sich einen lukrativen „Nebenjob“ erhoffte. Stand er damals vor der Entscheidung, eine Arbeitsstelle anzutreten oder die Fachhochschulreife zu absolvieren, um studieren zu können, entschied er sich – insbesondere nach Gesprächen mit dem Angeklagten Emre Ates, der ihm zuriet, die Fachhochschulreife zu absolvieren – schließlich für den ihm angebotenen „Nebenjob“, auch um sich den Schulbesuch leisten zu können.
      Auch in der Freizeit übernahm und übernimmt der Angeklagte bis heute Verantwortung. Er war im Bereich des Basketballs zunächst als Vereinsspieler, dann als Trainer und Jugendwart tätig. Bis heute ist er in der Jugendbetreuung und als Schiedsrichter aktiv.
      Wenn der Angeklagte auch als jüngster Sohn der Familie damals und bis heute im Elternhaus lebt und auch nach wie vor Ablösungstendenzen nicht ersichtlich sind, ist dies nicht mit Entwicklungs- und Reifeverzögerungen zu erklären. Vielmehr übernimmt der Angeklagte gerade Verantwortung für seine gesundheitlich angeschlagenen Eltern und unterstützt diese in vielfältiger Hinsicht.
      Aufgrund der Biographie des Angeklagten geht die Kammer daher davon aus, dass die Persönlichkeitsentwicklung des zum Zeitpunkt der Tatbegehung 20 Jährigen altersentsprechend war. Entwicklungs- und Reifeverzögerungen, die es erlaubt hätten, ihn im Sinne des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG einem Jugendlichen gleichzustellen, mithin im Umfang von mehr als zwei Jahren, konnten nicht festgestellt werden. Die Art, die Umstände und die Beweggründe der Taten zeigen auch keine speziell jugendtümliche Verhaltensweise des bei Tatbegehung Heranwachsenden. Dass er sich einen lukrativen „Nebenjob“ erhoffte und einte, die finanziellen Verluste der Kreditkarteninhaber würden anderweitig schon ausgeglichen werden, ist nicht als speziell jugendtümlich zu werten. Das Handeln und Denken des Angeklagten zeichnete sich auch damals bereits grundsätzlich durch hohe Eigenverantwortung aus. er agierte überlegt und planvoll und legte dabei zugleich eine erhebliche kriminelle Energie an den Tag.

      Bei den abgeurteilten Taten III. 1 bis 75. wendet die Kammer über § 263 a Abs. 2 StGB den schwereren Strafrahmen des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB a, der eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsieht.

      Auch dieser Angeklagte handelte bei seinen Taten in dem Bestreben, sich durch die wiederholte Tatbegehung – die über einen Zeitraum von etwa drei Monaten erfolgte – zur Aufbesserung seiner finanziellen Situation nach Beendigung seiner Ausbildung und vor der Aufnahme der weiterführenden Schule eine nicht nur vorübergehende, nicht ganz unerhebliche Einnahmequelle zu verschaffen, und damit gewerbsmäßig.

      Die Kammer hat nach einer Gesamtbewertung aller Umstände keinen Anlass, von der Regelwirkung des in § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB genannten Beispiels abzusehen.

      Der Angeklagte Adnan räume zwar ebenfalls seine Beteiligung an den Taten Ziffer III. 1. bis 75. offen und aufrichtig ein, machte ausführliche Angaben zur Vorgehensweise und bereute sein Tun. In der Hauptverhandlung verzichtete er auf die Herausgabe des Tatmittels, seines Laptops Netbook.
      Die Kammer verkennt nicht, dass das Sicherungssystem der Deutschen Bahn AG den Angeklagten die Begehung der Taten leicht machte. Zu Gunsten des Angeklagten geht sie auch davon aus, dass die Hemmschwelle im Laufe der Zeit spürbar sank. Während der Dauer des Verfahrens hatte der junge Angeklagte mit der Ungewissheit betreffend den Verfahrensausgang und den möglichen Konsequenzen für seine persönliche, gegebenenfalls auch ausländerrechtliche und berufliche Situation umzugehen. Dies belastete ihn. Wenn auch nur wenige Tage Untersuchungshaft gegen ihn vollstreckt wurden, so hat ihn diese Zeit doch nachhaltig beeindruckt und die Trennung von seiner Familie belastet. Er befand sich erstmals in Untersuchungshaft. Strafrechtlich war der Angeklagte bisher nicht in Erscheinung getreten. Er hat ein verantwortungsvolles und geordnetes Leben geführt. Erstmals überhaupt hatte er sich nun vor Gericht zu verantworten und eine nicht unerhebliche Freiheitsstrafe zu gewärtigen.

      Demgegenüber sprach den Angeklagten, dass er in einem Zeitraum von etwa drei Monaten gemeinsam mit dem Angeklagten Emre Ates 75 und damit eine Vielzahl an Computerbetrugstaten, denen eine weitaus höhere Zahl an Bestellungen zugrunde lag, begangen und damit eine erhebliche kriminelle Energie an den Tag gelegt hat. Auch er ließ sich von der Durchsuchung in der Wohnung der Familie Ates wegen, wie er erfahren hatte, gleichgelagerter Vorwürfe nicht von der weiteren Tatbeteiligung abhalten. Am selben Tag erhielt sein Freund die von ihnen lange ersehnten Unterlagen zu dem ersten gemeinsamen Konto bei der Ziraat Bank. Der eingetretene Schaden ist beträchtlich: Während der etwa drei Monate dauernde Tatbeteiligung des Angeklagten AdnanPolat verursachten die beiden Angeklagten durch die Taten Ziffer III. 1. bis 75. einen Schaden in Höhe von 54.037,90 Euro.

      Diese Umstände lassen im Rahmen der Gesamtbewertung aller Umstände die Anwendung des Regelbeispiels des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB nicht unangemessen erscheinen. Auch wenn er seine Beteiligung einräumte, so fällt demgegenüber doch insbesondere die kriminelle Energie, die der Angeklagte während der drei Monate seiner Beteiligung an den Tag legte, ins Gewicht.

      Eine Milderung der Strafe gemäß § 46 b StGB – in der Fassung vom 01. September 2009 – in Verbindung § 49 Abs. 1 StGB kam aber auch bei diesem Angeklagten nicht in Betracht. Der Angeklagte Adnan Polat hat nicht durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen, dass eine Tat nach § 100 a Abs. 2 StPO aufgedeckt werden konnte, § 46 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1. Er hat zwar – wie von dem Vernehmungsbeamten PHM Götner und POK Bauer in der Hauptverhandlung dargelegt – bei seiner polizeilichen Vernehmung am 06. August 2013 geständige Angaben zu seiner Tatbeteiligung gemacht. War der Täter ab an der Tat beteiligt, muss sich sein Beitrag zur Aufklärung nach § 46 b Abs. 1 Satz 1 StGB über den eigenen Tatbeitrag hinaus erstrecken, § 46 b Abs. 1 Satz 3 StGB. Zum Zeitpunkt seiner Aussage, in der er insbesondere die Methode beschrieb, waren aber der Angeklagte Emre Ates der, der bereits Anfang Juni 2013 seine Tatbeteiligung eingeräumt und Passwörter offenbart hatte, und der Angeklagte Cem Ates, der seine Beteiligung zu diesem Zeitpunkt zwar abgestritten, aber auch den Computerzugangscode preisgegeben hatte, bereits seit Anfang April 2013 in Untersuchungshaft.

      Bei der konkreten Straffindung berücksichtigt die Kammer zugunsten des Angeklagten die bereits bei der Wahl des Strafrahmens genannten Strafzumessungsgesichtspunkte, vor allem die Tatsache, dass der Angeklagte seine Beteiligung an den Taten Ziffer III. 1. bis 75. eingeräumt hat. Die Kammer verkennt nicht, dass er bereits im Ermittlungsverfahren zu seiner Tatbeteiligung gestanden und Angaben zur Vorgehensweise gemacht hat, wenn auch eine Milderung nach §§ 46 b Abs. 1, 49 StGB nicht in Betracht kam.
      Demgegenüber standen die – ebenfalls bereits bei der Wahl des Strafrahmens genannten – Strafzumessungsgesichtspunkte, die gegen den Angeklagten sprachen. Insbesondere fällt der in den drei Monaten seiner Tatbeteiligung eingetretene, erhebliche Schaden ins Gewicht.
      Bei der Bemessung der konkreten Einzelstrafen hat die Kammer zudem die Vielzahl der den Taten jeweils zugrundeliegenden Bestellungen und damit auch die Höhe des insoweit eingetretenen Schadens berücksichtigt.

      Insgesamt hat die Kammer unter Berücksichtigung des Unrechts- und Schuldgehalts der Taten und unter umfassender Würdigung aller für und gegen den Angeklagten Adnan Polat sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte auf folgende Einzelstrafen erkannt:

      Für die Taten Ziffer III.
      17. und 68.:
      jeweils zwölf Monate Freiheitsstrafe,

      für die Taten Ziffer III.
      20., 26., 42., 44. und 70.:
      jeweils zehn Monate Freiheitsstrafe,

      für die Taten Ziffer III.
      5., 8., 9., 15., 16., 21., 30., 34., 35., 36., 43., 45., 46., 47., 48., 58., 63., 64., 65., 67., 69., 71., 72., 73. und 74.:
      jeweils acht Monate Freiheitsstrafe,

      und für die Taten Ziffer III.
      1., 2., 3., 4., 6., 7., 10., 11., 12., 13., 14., 18., 19., 22., 23., 24., 25., 27., 28., 29., 31., 32., 33., 37., 38., 39., 40., 41., 49., 50., 51., 52., 53., 54., 55., 56., 57., 59., 60., 61., 62., 66., und 75.:
      jeweils sechs Monate Freiheitsstrafe.

      Bei der gemäß §§ 53, 54 StGB zu bildenden Gesamtstrafe und ausgehend von der Einsatzstrafe von zwölf Monaten im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB hat die Kammer die für und gegen den Angeklagten Adnan Polat sprechenden Strafgesichtspunkte erneut umfassend gewürdigt. Sie hat dabei berücksichtigt, dass sich die Hemmschwelle des Angeklagten im Laufe der Zeit spürbar herabgesetzt hat und hält deshalb und wegen des engen persönlichen und situativen Zusammenhangs dieser Taten einen äußerst straffer Zusammenzug gerechtfertigt.

      Bei der Gesamtabwägung hält die Kammer deshalb die

      Gesamtstrafe von einem Jahr und neun Monaten Freiheitsstrafe

      für tat- und schuldangemessen.

      Die Kammer setzt die Vollstreckung der Freiheitsstrafe gemäß § 56 StGB zur Bewährung aus, denn sie ist davon überzeugt, dass der Angeklagte Adnan Polat sich bereits die Verurteilung zur Warnung dienen lässt und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs künftig einen rechtschaffenen Lebenswandel führen wird. Seine derzeitigen Lebensverhältnisse sprechen für ihn: Er studiert im zweiten Semester, lebt im Elternhaus und kümmert sich um seine gesundheitlich angeschlagenen Eltern, mit denen ihn bis heute ein enges Verhältnis verbindet. Bis heute ist er in der Basketball-Jugendbetreuung aktiv. Kritisch hat sich der Angeklagte mit seinen Taten auseinandergesetzt. Das gute familiäre und soziale Umfeld, die regelgerechte Schul- und Berufsausbildung und die vom Angeklagten ins Auge gefassten Pläne für seine Zukunft lassen eine günstige Prognose zu. All dies wird ihn während der Bewährungszeit stützten und fördern. Neuerliche, vor allem vergleichbare Straftaten muss man bei diesem Angeklagten nicht erwarten. Die Kammer ist deshalb überzeugt, dass er sich – auch durch die Weisungen und Auflagen gestützt – künftig straffrei halten wird. 

 

Entscheidungen nach § 111 i StPO

Ansprüche Verletzter, mithin der Deutschen Bahn AG, stehen einer Verfallsanordnung betreffend des bei der Postbank AG geführten, durch Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 12. Juni 2013 beschlagnahmten Kontos mit dem Restguthaben von 3.737,51 Euro, aber auch des am 05. April 2013 in Gewahrsam genommenen Bargeldbetrags von 995 Euro entgegen, §§ 111 i Abs. 2, 111 c Abs. 1, 111 b Abs. 1, Abs. 5 StPO, § 73 StGB.
Gleiches gilt für die Anordnung des Verfalls von Wertersatz gemäß § 111 i Abs. 2 StPO, § 73 a StGB in Höhe von 117.267 Euro bei dem Angeklagten Emre Ates, 49.267 Euro bei dem Angeklagten Cem Ates und 68.000 Euro bei dem Angeklagten Adnan Polat. Auch insoweit stehen Ansprüche Verletzter, der Deutschen Bahn AG, entgegen. Der Verbleib des Erlangten ist unklar. Lediglich die in Gewahrsam genommene Bargeldsumme in Höhe von 995 Euro und das Guthaben in Höhe von 3.737,51 Euro auf dem zuvor genannten, beschlagnahmten Konto festgestellt werden.

Kosten

Hinsichtlich der Angeklagten Emre Ates und Adnan Polat ergibt sich die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und deren notwendige Auslagen aus § 465 StPO. Gemäß § 74 JGG hat die Kammer davon abgesehen, dem Angeklagten Cem Ates die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.“

Ich war etwas verwirrt, als die Richterin mit dem Urteil fertig war und wir uns wieder setzen durften. Sobald das Urteil zu Ende war, sprach ich meine Anwältin an: „Ist mein Bruder auf Bewährung draußen?“ Sie erwiderte meinen verzweifelten Blick lächelnderweise: „Ja, er darf gehen“, flüsterte sie mir zu. Mir schossen Glücksgefühle in die Brust, ein Kribbeln machte sich in meinem Bauch breit und ich fühlte mich fast so, als sei ich verliebt. Innerlich schrie ich: „YES! Mein Bruder ist draußen! Yes!“ Mein Grinsen konnte dem Auge der Richterin nicht entgehen, woraufhin sie meinte: „Sie scheinen wohl kein Problem mit dem Urteil zu haben.“ Ich grinste sie an: „Mein Bruder darf raus, nicht wahr?“ Sie bejahte und sah sofort meinen Bruder an: „Herr Cem Ates, uns ist die Entscheidung nicht leichtgefallen. Eigentlich wollten wir Sie noch weiterhin in Haft behalten und nach Adelsheim schicken, damit sie dort ihre Mittlere Reife nachholen können. Sie können von Glück reden, dass die JVA Adelsheim nach einem Anruf mitgeteilt hat, dass sie keine Plätze mehr für das kommende Jahr haben, weshalb sie als Bewährungsauflage die mittlere Reife nachholen müssen. Wenn Sie jetzt nach Hause gehen…“, die Richterin wurde vom Schluchzen meiner Mutter im Satz unterbrochen und blickte sie tadelnd an: „Frau Ates, warum weinen Sie denn noch? Ihren jüngsten Sohn können Sie heute mitnehmen.“ Ich sah meine Mutter an, sie hatte ihre beiden Hände auf ihr Gesicht gepresst, um ihre Tränen nicht zeigen zu müssen. Ihr Gesicht war total rot angelaufen, als sie hochschreckte. Neben ihr war meine Zwillingsschwester, die auch weinte und ungläubig wirkte: „Was? Mein Bruder ist draußen?“, die Richterin nickte und fragte sich wohl, warum das nicht offensichtlich gewesen sei. Meine Schwester stupste sofort meine Mutter an: „Cem ist draußen, Mama! Cem ist frei!“, meine Mutter stutzte und vergewisserte sich nochmals bei meiner Schwester, ob sie richtig verstanden hätte, und begann von Neuem zu weinen – doch diesmal vor Glück! Dieser Moment brannte sich in mein Gedächtnis ein, es war einer der schönsten in meinem Leben. Meinen Vater hatte ich keines Blickes gewürdigt, auch hatte ich seine Reaktion auf das Strafmaß nicht wahrgenommen. Cem und ich grinsten einander an und ich zeigte ihm den Daumen nach oben, während die Richterin mit einer Predigt fortfuhr. Sie empfahl meinem Bruder, das Beste aus seiner Freiheit zu machen und zu bedenken, dass noch ein weiteres Verfahren gegen ihn lief. Danach wandte sie sich mir zu: „Ja, Herr Ates, zu Ihnen: Wir als Kammer hätten Ihnen – und das können Sie uns glauben – ein milderes Urteil gegeben. Doch das Gesetz hat dies nicht zugelassen, in Anbetracht der Umstände war dies das Wenigste, das wir Ihnen geben konnten. Lassen Sie sich nicht unterkriegen und verfolgen Sie ihr Ziel, ein Studium zu beginnen.“ Ich bedankte mich bei ihr, dass sie meinen Bruder frei gelassen hatten, und wandte mich meiner Anwältin zu. Sie meinte, dass sie alsbald zu Besuch kommen würde, um das weitere Vorgehen zu diskutieren und, dass sie nicht mit dem Urteil zufrieden sei – mich interessierte in diesem Moment aber nur mein Bruder.  Meine Augen wurden leicht feucht, als mir die Handschellen an die Handgelenke angebracht wurden und ich sah, wie mein Bruder in den Armen meiner Familie lag und meine Mutter an seinen Haaren roch und ihn an den Wangen küsste. Es lag so viel Rührung in diesem Moment. Ein Beamter begleitete mich, als ich kurz zu meiner Familie ging und sie mich mit ihren weinenden Augen anblickten. Meine Schwester streckte ihre Hand aus und legte sie auf meine Schulter: „Oh Emre, es tut mir so Leid“, sie begann abermals zu schluchzen, und meine Mutter wollte mich auch noch trösten. Ich versuchte jedoch, stark zu bleiben. Ich wollte nicht weinen, ich wollte nicht, dass sie Mitleid mit mir hatten – ich wollte einfach, dass sie es genießen konnten, meinen Bruder wieder bei sich zu haben. „Wir sehen uns übermorgen, beim Besuch!“, sagte ich munter zu meiner Mutter, als ich in Richtung Ausgang geführt wurde. Mein Vater hielt mich kurz auf: „Mein Sohn…bleib stark, wir schaffen das! Bis übermorgen!“ Ich nickte und wandte meinen Blick in Richtung Ausgang. Das Bild meiner Familie, dieser Wiedervereinigung, würde ich wohl nie vergessen.

Doch sobald ich wieder in der Wartezelle saß, dachte ich über mein Strafmaß nach: war es gerecht oder nicht? Eigentlich hatte es die Richterin bereits plausibel erläutert: Ich war vorbestraft, ich hatte mich von der Hausdurchsuchung seitens der BKA Kassel nicht abhalten lassen weiterzumachen, und Adnan hatte ich auch nicht verraten. Folglich konnte es keine Strafmilderung geben. Andererseits hatten sie mir die Herausgabe des Passwortes auch nicht als strafmildernd anerkannt und mich damit abgespeist, dass ich nur die Ermittlungsarbeiten damit beschleunigt hätte. Ich hatte während meiner Haft schon einige Urteile zu Ohren bekommen, jeder hatte einfach ein anderes Rechtsempfinden. Wenn ich meine Taten mit anderen verglich, erschienen sie mir relativ harmlos – verglichen mit anderen wiederum empfand ich sie als schlimmer. Das gleiche galt beim Strafmaß – ich musste mich einfach damit abfinden, und sollte mich darüber freuen, dass wir nicht des bandenmäßigen Betruges angeklagt worden waren. Sonst wäre ich unter fünf Jahren nicht davongekommen. Es war Zeit, nach vorne zu blicken, denn ich hatte ein ganz bestimmtes Ziel: Ich wollte studieren und das alsbald wie möglich. Wir hatten April 2014 und nach meinen Berechnungen und, ich gebe zu, auch mit einer Prise Wunschdenken, sollte ich ab Oktober 2014 im Freigängerheim studieren dürfen. Ich ließ mir sagen, dass man ein Jahr vor voraussichtlicher Entlassung in den Freigang durfte und ging davon aus, dass ich nur 2/3 meiner Strafe, also 2 Jahre und 6 Monate, absitzen würde müssen. Dies bedeutete, dass ich nach 1 Jahr und 6 Monaten in den Freigang durfte. 1 Jahr saß ich bereits, was wiederum hieß, dass ich nach 6 Monaten, also im Oktober, in den Freigang werde gehen dürfen. Vielleicht war das eine Milchmädchenrechnung und, wie bereits erwähnt, eher Wunschdenken als Realität. Wenn ich jedoch eines in der Haft gelernt hatte, dann, dass Hoffnung zu den Dingen zähle, die einem die Haft einigermaßen erträglich machte. Und so musste ich einfach hoffen, dass ich im Oktober 2014 in den Freigang werde gehen dürfen.

Doch bis dahin war es noch ein weiter weg voller Hürden. Stammheim war nur für U-Häftlinge, ich würde also in eine andere Strafanstalt kommen. Wie würde ich mich dort integrieren? Auch liefen noch zwei weitere Ermittlungsverfahren gegen mich. Nun war ich ein vorbestrafter türkischer Staatsbürger ohne Aufenthaltstitel – ab drei Jahren Strafmaß drohte eine Abschiebung, dies hatte mir die Richterin klargemacht. Doch wie real war diese Gefahr tatsächlich?

Ich hätte niemals ahnen können, dass sich das nächste Jahr ganz anders entwickeln würde, als ich es mir vorgestellt hatte – ich hatte wieder mal keine Ahnung. Ein metallisches Rascheln riss mich aus meinen Gedanken. Es waren die bis heute unvergessenen Schlüsselgeräusche, die ertönten, bevor sich meine Tür öffnete. Ein Beamter aus Stammheim stand vor mir.

„Los geht’s.“